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- Geschrieben von Opa Rator
- Kategorie: Helpdesk Tagebuch
- Erstellt: 26. Dezember 2015
Der Sonnenaufgang paßte perfekt zu meiner Stimmung: ein romantische Morgenrot, das langsam aber unaufhaltsam in das warme Gelb des frühen Morgens überwechselte. Es schöner Tag, der mich friedlich stimmen sollte - was könnte man alles schönes machen. Es sind Semesterferien, so daß am Bastard Helpdesk of Hell eigentlich nicht zu viele dieser dreisten Kreaturen auftauchen dürften, die als Studenten den Staat um seine Steuereinahmen erleichtern und mich mit unnützen Fragen löchern.
Was nützt Ihnen meine Antwort, wenn sie sie erstens nicht verstehen (wenn sie das verstünden, müßten sie nicht so oft zum Helpdesk kommen, obwohl sie das "Hell" in seinem Namen manchmal schon zu spüren bekamen) und es zweitens eh meist nur darum geht, irgendeine EMail des Freundes oder der Freundin zu lesen, die nichts wirklich Neues enthält (und nur selten gut Abgeschriebenes)?
Aber versuchen Sie einmal, so etwas den Studenten begreiflich zu machen. Als ich am Bastard Helpdesk of Hell anfing (diesen inoffiziellen Namen hielt ich damals noch für eine Übertreibung), habe ich es noch im Guten versucht - dann und wann etwas geholfen, wo eine gewisse Aussicht auf Besserung bestand, ansonsten kurz erklärt wie Word denn ungefähr funktioniert. Letzteres führte meist zum Abbruch des Studiums, nachdem zum dritten Mal die Hausarbeit im Daten-Orkus verschwandt. Nicht, daß ich nicht auf die Bedeutung von Sicherheitskopien hingewiesen hätte, nein, das habe ich durchaus gemacht. Aber wird einem geglaubt, wenn man Gutes predigt? Sehen Sie, diese Erfahrung haben Sie auch schon gemacht!
Inzwischen habe ich dieses Helfersyndrom abgelegt und habe nun immerhin meinen Spaß dabei, wenn die Normalnutzer mit dem Konflikt zwischen der Computerrealität und ihren Kapazitäten konfrontiert werden.
Inzwischen ist also die Sonne schon ein gutes Stück über den Horizont gestiegen und läßt die sengende Intensität ihrer Mittagsstrahlen erahnen, die mich ein wenig um meine Kundschaft fürchten läßt, falls der Gleichlauf der Sonne mit meiner Stimmung heute anhält.
Beim Eintreten in das erwürdige Gebäude des Rechenzentrums begegne ich dem Bastard System Manager Of Hell, wir grüßen uns wie zwei Jäger auf der Pirsch, nicht zu auffällig, immer gewärtig, daß der jeweils andere auch schon ein paar Kerben im Keyboard hat. Ich öffne die Tür zu unserem Büro - es staut sich schon eine kleine Schlange davor - und schließe die Tür gleich wieder hinter mir, um ein wenig zu versuchen, die menschenfreundlichen Gedanken zu genießen, die mir beim Sonnenaufgang durch den Kopf schossen. Nachdem sich diese letzten Nebel des Morgens in der Sonne aufgelöst haben, lasse ich die irgendwie etwas verdattert wirkenden Studenten hereinkommen. Um diese Uhrzeit schon etwas zu viele, da hat wohl wieder der große Jäger ein deluser gestartet und dabei etwas nachlässig die Kriterien für das Löschen der Accounts ausgewertet.
Tatsächlich lautet gleich die erste Frage "Ich komme nicht in meinen Computer 'rein!?". Ich verkneife mir die sich aufdrängende Gegenfrage, was er denn da drinnen wolle und erkundige mich danach, was er denn vorletzte Woche mit dem Rechner gemacht habe. "Wieso vorletzte Woche? Heute funktioniert das Ding nicht!" - "Schon möglich, aber da gab es vor zwei Wochen ein neues, sehr aggressives Virus, daß mit Zeitverzögerung arbeitet. War denn was wichtiges auf der Festplatte?" Ein paar Momente lang ist der Student mit erbleichen beschäftigt, fängt sich aber schnell (zäh der Junge, mal sehen wie zäh...): "Naja, meine Diplomarbeit." Die Frage nach der Sicherheitskopie garniere ich mit dem Hinweis darauf, daß ja mit einer solchen alle Probleme im Keim erstickt sein würden. Da er nicht mehr artikuliert antworten kann, vermag ich nur noch zum Todesstoß anzusetzen und lasse mir seinen Loginname geben (den hat er zum Glück aufgeschrieben, auf dem Zettel steht zur Abwechslung leider mal nicht das Paßwort auch gleich mit drauf). Ich tippe etwas Unsinniges auf der Tastatur ein (War es wirklich deluser?) und setze ein ernstes Gesicht auf, als ich ihm mitteile, daß er ja sicher schon von der Möglichkeit gehört habe, sein Studium als gebührenpflichtiges Langzeitstudium fortzusetzen.
Der nächste Kandidat hat sein Paßwort vergessen und wünscht ein neues. Irgendwie habe ich so einen Verdacht und checke unsere Logfiles: Sieh da, schon das fünfte neue Paßwort in drei Wochen. Meine Verpflichtung für die nächste Evaluation der Bildungserfolge der Universität zwingt mich, hier etwas zur Lernfähigkeit dieses angehenden Intellektuellen beizutragen. "Tut mir leid, Du fällst unter eine neue Regel, nur noch ein Paßwort pro Jahr wird umsonst geändert. Das kostet jetzt 50 Mark." Er setzt zum lautstarken Protestieren an, wird aber im letzten Moment von einem Anfall von gesundem Menschenverstand davor bewahrt, gegen die Autoritäten dieser Welt die Stimme zu erheben. So haucht es aus seinem Mund etwa so: "Aber ich habe gar kein Geld dabei und ich bin ein armer Student und könntest Du nicht..." - "Kann ich nicht!" Und ich setzte zu einer kurzen Suada an über die Kosten die Leute wie er dem Rechenzentrum und damit der Universität verursachen und er möge doch mal in sich gehen und bedenken, wie rücksichtslos der Staat den Unis das Geld wegnähme. Er scheint ein bißchen an seinem Gewissen berührt zu sein, jedenfalls zieht er zögernd sein Portemonnaie hervor. "Aber nur, weil ich den Account heute dringend brauche." Darauf habe ich nur gewartet und ziehe ein gestern vorbereitetes Formular unter dem Tisch hervor. Leider-leider sei die Verwaltung der Uni noch nicht ausreichend computerisiert und daher müsse er mir bitte dieses altmodische Formular ausfüllen, damit sein Geld ordentlich verbucht werden könne. Ich drücke Ihm den Vordruck in dreifacher Ausfertigung in die Hand und wende mich meinem nächsten Kunden zu.
Eine Frau, eine recht hübsche sogar. Mit anderen Worten der Grund, warum wir sonst hier so viel Wert darauf legen, immer eine gemischtgeschlechtliche Besetzung am Helpdesk zu haben. Nur so - in Verbindung mit einer konsequenten Zuordnung der Kunden zum jeweils eigenen Geschlecht - lassen sich die Fraternisierungen verhindern, die die Effizienz des Bastard Helpdesk of Hell immer wieder hinter das Mögliche zurückfallen lassen. Ich beschließe, ein paar von den Nebeln wieder aufsteigen zu lassen, die beim Betrachten des Sonnenaufganges meine Seele umwoben. "Bei Dir funktioniert also der Account nicht mehr, setzt Dich doch mal hin und log Dich ein." - Aha, der morgendliche deltree-Einsatz des Bastard System Manager Of Hell war wohl etwas zu wahllos eingestellt. Einmal ein schnelles salvage über ihr Laufwerk, das wohlverdiente, sehr angenehm gehauchte Danke abkassiert - und schon muß ich wieder Härte beweisen. Der Student von eben hat die Formulare offensichtlich fertig ausgefüllt (zu meiner Entschuldigung sei gesagt, daß es sich um Prototypen handelt, die noch etwas komplizierter werden sollen; Querverweise auf nicht existente Felder sind noch in Arbeit, aber das Computerzeitalter läßt einige nützliche Fähigkeiten der schönen alten Kameralistik in Vergessenheit geraten - ich muß wieder einmal bei den Bastard Public Servants of Hell, Reader on Forms (Misleading the Subject), nachblättern).
"Bekomme ich jetzt mein neues Paßwort?" - "Selbstverständlich", sage ich und schiebe die Formulare in ein Fach. "Aber erst, wenn die Verwaltung mir das Okay gibt." - "Aber ich muß dringend an meinem Account arbeiten, ohne die Daten komme ich nicht weiter." - "Ich kann leider gar nichts machen, die Verwaltung ist da strikt. Du könntest allenfalls einen neuen Account beantragen." Er wird hellhörig und kurzzeitig blitzt vergebliche Hoffnung in seinen Augen auf "... halt nein, da gäbe es dann ja noch das Problem, daß du nur *einen* Account haben darfst und deinen alten Account kann ich nur löschen, wenn ich das Paßwort dafür habe. Du kennst nicht zufällig dein altes Paßwort?" Die seltsamen zuckenden Bewegungen des Studenten lassen mich um seine Gesundheit fürchten und ich rufe den Wachdienst des benachbarten Bezirkskrankenhauses, um dem Studenten die Gelegenheit zu geben, etwas zur Ruhe zu kommen und die ausgezeichnete Kunst unserer Nervenärzte schätzen zu lernen. Während er noch weggeführt wird, logge ich mich kurz in der Datenbank des Klinikums ein und setze bei seinem Datensatz die Worte "gefährlich", "entmündigt" und "Hochsicherheitstrakt" ein.
Ein Blick aus dem Fenster zeigt mir strahlenden Sonnenschein, der aber ein wenig sengend zu sein scheint.